RILKE, Rainer Maria, 1875 – 1926. 2 e. Br. m. U. München 22.IX.1918 und Château de Muzot 19.I.1922. Zus. 14 S. kl.-4o. Der zweite Brief mit e. adressiertem Umschlag. Inhaltsreiche Briefe an die ihm befreundete Berliner Schriftstellerin und Aquarellmalerin Marie von Bunsen (1860 – 1941). 22.IX.1918. Über sein Befinden nach Kriegsende und mit Nachrichten aus dem gemeinsamen Bekanntenkreis. Zunächst entschuldigt sich Rilke, einen Brief sechs Monate lang nicht beantwortet zu haben. "... Ach, im Mündlichen gelingt es mir noch manches Mal – – – mittheilend und beweglich zu sein, alles Schriftliche scheint mir unüberwindlich … Ihr neuer Brief ist wiederum voller Beweise Ihrer lebhaften Unbeirrtheit: wie Sie Menschenwerk doch noch lieb haben können … Wie lieblos, lieblos, dagegen reiste ich noch vor ein paar Tagen durch Ansbach. Sah, erinnerte, versuchte zu bewundern: aber wie ist mir, über dem jetzigen bösartigen Wirrsal, das Menschliche bis weit zurück verdächtig geworden. Kaum kann ich vor schönen alten Dingen stehen, ohne zu erschrecken vor ihrer Verlassenheit, wie sie in Verlust gerathen sind, noch als daseiende, mitten unter den unschauenden, unsichtigen Menschen, die neben ein Schönes, ein Großmüthiges, Sich-Verschwendendes, nicht etwa nun ein Nützliches gesetzt haben, nein: ein schamloses Zeichen ihrer Ausbeutung, ihrer Nicht-Wirklichkeit, Nichtigkeit! … Aber Sie sehen ich verliere mich; ob ich gleich irgendwie Ihren Glauben habe …, so bin ich doch, diese Jahre über, kleingläubig geworden, mitten in meinem bekennenden Leben! …" Er hoffe, sie einmal bei sich in München in seinen "drei mal vier eigenen Wänden und dans mes meubles" begrüßen zu dürfen und fährt fort: "Montag: hier bin ich gestern abend unterbrochen worden. Frau Ida Roland" (die Schauspielerin) "kam mit ihrem Mann, dem kleinen Richard Coudenhove. Den späteren Abend habe ich dann im Theater verbracht, wo sie zum letzten Mal in einem norwegischen Stücke" ("Anna Pedders Dotter" von Hans Wiers-Jensen) "spielte … und verdanke … diesem Anlass einen der eindringlichsten und wichtigsten Eindrücke, die mir je durch eine gestaltende Schauspielerin überkommen ist. Was wäre diese Frau in dem Ensemble Stanislawski’s? … Noch mehr als dieses kluge Können, das etwas diskreter und abgewandelter zu verwenden, das norwegische Stück immerhin einige Gelegenheit bot, überraschte und beschäftigte mich die Frische ihrer Natur, die Gebärden, Einfälle und Steigerungen des Spiels … Welches malheur, dass die Bühne (noch vielmehr als das Buch) dem Belieben des Empfangenden ausgeliefert ist … Bei Richard Voss’ Tod" (der Schriftsteller war im Juni d.J. gestorben) "habe ich an Sie gedacht … ganz vorzüglich bedauere ich nun auch im Gedanken nie der Lady Blennerhasset begegnet zu sein, die wenn ich nicht irre, auch zu den Ihnen geistig verwandten oder gar näher lieben Erscheinungen gehört haben müsste. Ich lese gerade in ihren Aufsätzen; wie wohl hätte mir diese Frau, die so unbeirrt Welt behalten hat, gerade in diesen eingeschränkten und verkrampften Jahren gethan … Ich sehne mich nach Menschen, durch die das Vergangene in seinen großen Linien an uns angeschlossen und auf uns bezogen bleibt; denn wie sehr wird gerade jetzt die Zukunft, je kühner und gewagter man sich sie denkt, doch auch wieder davon abhängig sein, ob sie in die Richtung der tiefsten Traditionen falle und sich aus ihnen (und nicht aus der Negation heraus) bewege und auswerfe. Zwei junge Freunde, köstliche, sind mir … durch den Krieg entrissen worden, die ich im Begriffe dieser so erhofften Zukunft unendlich beklage, ein junger Keyserlingk" (Graf Paul von K.) "und jener treffliche lautere junge Marwitz aus Friedersdorf" (der Dichter Bernhard von der M.) "... Ich war dabei, ihn lieb zu gewinnen … Verluste, Verluste …. wenn nur jeder ganz verpflichtend wäre und unerbittlich, ein ernsteres, verantwortlicheres und geheimnisfüllenderes Leben uns aufzutragen …" 19.I.1922, nachdem Marie von Bunsen sich öffentlich gegen die "Nach-Dichterei Hans Bethge’s" ausgesprochen hatte. "... Es hätte keines besonderen äußeren Anlasses bedurft, um in mir den Wunsch zu erregen, in Ihrer Erinnerung vorzukommen …: denn für diese Verfassung hatte ich inneren Anlass genug aus jenen Stunden mitgenommen, die mir seinerzeit in einem münchner Zimmer vergönnt gewesen sind, das, so klein und zufällig es an sich war, doch, durch Sie, fähig geworden war, alles traditionelle und persönlichste einer großen und intimen Gastfreundschaft auszugeben. In der That, zu den wenigen Momenten innerer Freiheit und Arglosigkeit, die in so bedrängten und abgeschränkten Jahren mir ausgespart gewesen sind, rechne ich, mit immer noch ganz fühlbarer Freude, die Nachmittage in der Sofaecke hinter dem kleinen Theetisch, denen in unseren vielfältigen Gesprächen, eine offenere, wieder von großen ungebrochenen Bewegungen durchzogene Welt selbstverständlich zuwuchs! … Ich bin nun schon im dritten Jahre in der Schweiz –, und … wundere … mich nur gelegentlich und wie aus Versehen darüber, dass eine freundschaftliche Einladung nach Nyon … den Anstoß geben konnte zu etwas, was am Ende eine große ‘Schweizer Zeit’ wird gewesen sein, ein ganzer Abschnitt meines (hier, nach und nach, in sich selber sich besinnenden und an sein voriges und vorvoriges anschließenden) Lebens. ... Und nun mein ‘Anlass’ zuletzt. Es ist mir eine große Genugthuung und Freude, dass eine Stimme von der Bedeutung der Ihrigen jenen gerechten und sachlichen Protest erheben mochte … Jeder der weiß, was Übersetzen heißt … konnte einer solchen oberflächlichen Ausbeutung von im Hintergrund bleibenden großen Dichtungen nicht ohne Widerwillen zusehen …" Erwähnt in diesem Zusammenhang "Judith Gautiers Livre de Jade" und "Omar Khayam".
Marie von Bunsen 1860 London - 1941 Berlin - Trajan-Kiosk im Tempel der Isis (Philae) - Öl/Lwd. 34 x 46,5 cm. Sign. und dat. r. u.: M. v. Bunsen / 1882. Links davon bez.: Burns 1879. Rahmen.
Marie von Bunsen. 1860 London - 1941 Berlin - Trajan-Kiosk im Tempel der Isis (Philae) - Öl/Lwd. 34 x 46,5 cm. Sign. und dat. r. u.: M. v. Bunsen / 1882. Links davon bez.: Burns 1879. Rahmen.
Bunsen, Marie von London 1860 - Berlin 1941 By the Nile Oil/canvas, 34 x 46 cm, lo. ri. sign. a. dat. M. v. Bunsen 1889 as well as inscribed 'Burns 1878'. - Cosmopolitan German paintress a. writer. Her extensive travels inspired her paintings a. her books. Since 1892 she was member of the 'Verein Berliner Künstlerinnen'.